Kompass.

Wladimir Lugowski: Osten (1957)

Eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind,
dorthin, wo die Blüten des Mohns glühende Flügel sind,
wo sich unsere Traktoristen spät ein Feuer angefacht
und aus stillen Tiefen rufen graue Käuzchen in die Nacht.
Ob dein Weg nun schmal sein wird oder weit wie Meere sind –
eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind!

Dort duften wie kuhwarme Milch die fruchtbaren Gärten im Land,
tief in den Lehm sind die Spuren der Schafherden eingebrannt.
Dort schwebt über Steppen und Wüsten der Geist
wirklicher Abenteuer, der sich der Erde entreißt,
die Nacht, ein Dolch aus Buchara, von dem die Bläue rinnt –
Eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind!

Dort, wo die Neuen noch hausen in der Barackenstadt,
wandern doch die Minuten gelassen ums Ziffernblatt.
Dort leuchtet der große Pass im Schnee hoch überm Tal.
Tief in der drohenden Schlucht heult zum Mond der Schakal,
und draußen in der Steppe flammt ein Feuer und singt:
Eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind!

So eile zum Ziel, nur ein Leben ist dein –
Gieße den Nektar des Daseins gierig in dich hinein.
Quellen und Meere der Erde füllten den Krug bis zum Rand,
aber der Durst lodert ewig, glüht wie ein Steppenbrand.
Schnell wie ein Wildbach, der brausend die Felsen bezwingt,
eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind!

Dort hebt sich der großen Gebirge sternerhellte Wand.
Dort schläft in der Frühe die Stille so groß überm Land,
dass, wenn in Steppenfernen die Schar der Traktoren dröhnt,
ihr Lied sich im Windhauch verwandelt, als ob eine Saite tönt.
Eile und sieh, wie der Weizen grünend sein Leben beginnt,
eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind!

Dort sitzen abends Freunde vereint nach der Schicht.
Sie hören die Blätter flüstern – ich bins der spricht.
Ich bin das schweigende Licht, das plötzlich den Berg belebt.
Ich bin der drönende Donner, dass die Felsschlucht erbebt.
Denn nichts versprach ich, was nur leere Worte sind:
Eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind!

Dort stehen die Pappeln, vom Schlafwind durchrauscht.
Schwarz schweigen die Felder, von keinem belauscht.
Ein Hauch rührt die Glut an, das Feuer erwacht.
Mit Sternen besät, träumt die freundliche Nacht.
Die zarten Flügel regt der junge Schmetterling.
Eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind!

Ja eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind,
wo der Saft in den mächtigen Bäumen zu steigen beginnt,
wo Mitternacht, die Schöne, still durch die Steppe geht
und Arm in Arm mit dir vor lauter Wundern steht ...
Du weißt, dass eine Hoffnung, ein Weg und eine Frist dir nur gegeben sind,
drum eile nach Osten, eile mit dem ersten Frühlingswind!